Wir Schweizer*innen lieben unsere Demokratie, wir sind stolz darauf und wahren sie. Die Mitsprache ist uns fast schon heilig. Doch was wahren wir und auf was sind wir überhaupt stolz?

Knapp 9 Millionen Menschen leben in der Schweiz, sie alle sind von politischen Entscheiden betroffen. Manche mal mehr, mal weniger. Und trotzdem sind bloss 62% davon stimmberechtigt. Junge, welche von den Entscheiden noch am längsten betroffen sind, haben noch nichts zu melden und Menschen ohne Schweizer Pass schon gar nicht: Ein Viertel in der Schweiz hat keinen Schweizer Pass und somit kein Mitspracherecht wenn es um Steuern, Infrastrukturbau, Sozialversicherungen, etc. geht… Ist es also wirklich eine Demokratie, auf die wir stolz sein können, wenn ein solch grosser Teil nicht mitreden darf? Und der dafür Grund etwas ist, wofür man gar nichts kann?

Mir ein grosser Dorn im Auge sind aber Gemeindeversammlungen. Das Konzept finde ich super; so direkt wie möglich, alle (Stimmberechtigen) können teilnehmen und über das Geschehen im Dorf mitbestimmen. Doch schon länger sind Gemeindeversammlungen eben nicht mehr so niederschwellig, wie sie es sein sollten. Aus strukturellen Gründen ist das Publikum an einem solchen Abend recht homogen: So ist es für Jüngere nicht prickelnd einen langen Abend mit trockenen Themen vollgetextet zu werden, nachdem sie schon den ganzen Tag in der Schule oder Uni waren. Oder für die jungen Eltern lohnt es sich nicht, eine*n Babysitter*in zu organisieren. Wenn man dann aber doch an eine Gemeindeversammlung geht, kommen schon die nächsten Hürden: Wer kommt wann zu Wort? Wird mir dann überhaupt zugehört? Und wie kann ich mich wehren, wenn mich der Gemeindepräsident «übersieht» und nicht zu Wort kommen lässt? (Ich wünschte, das Letzte wäre erfunden…) Vollständig partizipieren kann man aber mit den Antworten auf diese Fragen immer noch nicht. Partizipation würde bedeuten, eigene Ideen einbringen. Das lohnt sich aber auch nur, wenn man Mehrheiten dafür schaffen kann, wofür einem als Einzelpersonen wohl das Netzwerk fehlt.

In Parlamentsgemeinden können solche Probleme abgefedert werden. Als gewähltes Parlamentsmitglied würde kaum jemand das schöne Sommerwetter als Grund zum Auslassen der Sitzung sehen, mit Sitzungsgeldern könnte der*die Babysitter*in gleich bezahlt werden und dank den Fraktionskolleg*innen findet man in den Parlamentsalltag. So vieles spricht für mehr Parlamente, trotzdem werden sie in einer Gemeinde nach der anderen an der Urne versenkt.

Eine Zürcher Landsgemeinde – das kann ich mir nicht vorstellen. Schlussendlich wäre das jedoch eine konsequente Forderung, wenn man sich für Gemeindeversammlungen ausspricht. Trotzdem ist mir das noch nie als ernsthafter Vorschlag verkommen. Es wirkt fast so, als ob ab einer gewissen Bevölkerungsgrösse eine solche Organisation nicht die geeignete Form für eine starke, gelebte Demokratie wäre…